Es ist ja heutzutage offensichtlich, dass so ziemlich alle handelbaren (materiellen) Dinge einerseits einen Preis haben. Abgesehen von der Natur sehe ich um mich herum kaum Dinge die nicht von Menschen produziert und verkauft worden sind oder verkäuflich wären. Auf der anderen Seite haben all diese Dinge für einzelne Personen einen (individuell verschiedenen) Wert. Ein freier Handel kommt nur zustande, wenn Käufer und Verkäufer sich beide von dem, was der jeweils andere hat, für sich einen höheren Wert versprechen. Macht zum Beispiel ein Bäcker 1000 Brote, so braucht er vielleicht eins oder zwei für sich und seine Familie, der Rest hat für ihn nur Materialwert, da er sie nicht essen kann bevor sie verschimmeln. Also tauscht er die restlichen gegen Geld, von dem er sich andere Produkte besorgen kann.
Wie sieht es nun bei Aktien aus?
Aktien kann man nicht essen, nicht anziehen und solange sie im Online-Depot liegen noch nicht mal anfassen, verbrennen oder die Wände damit tapezieren. Viele, vielleicht sogar ein Großteil der Käufer von Aktien sieht deshalb den einzigen “Wert” einer Aktie darin, sie nach einer mehr oder weniger kurzen Haltezeit zu einem höheren Preis zu verkaufen. Das ist natürlich ein legitimes Vorgehen und funktioniert auch immer wieder, allerdings sollte sich jeder darüber im klaren sein, dass das oft Spekulation ist. Was ich unter Spekulation verstehe habe ich versucht hier zusammenzufassen: Investition vs Spekulation
Hinter Aktien steht aber auch ein ganz realer materieller Wert, nämlich ein Unternehmen mit darin gebundenem Anlagekapital. Dieses kann man z.B. verkaufen und den Rest ausschütten, wie es bei Insolvenzen vorkommt, oder in der Regel “für sich arbeiten lassen”. Im letzteren Fall ist der Wert der Aktie also im wesentlichen der zukünftige Gewinn, den das Unternehmen machen kann. Der weit in Zukunft liegende Gewinn muss dabei abgezinst werden (man könnte ja auch mit Staatsanleihen oder risikoarmen Anlagen Gewinne machen in der Zeit), so dass man, sofern man die Zukunft kennen würde, einen exakten fairen Wert der Aktie basierend auf zukünftigen Ausschüttungen berechnen könnte.
Ändert sich dieser Wert regelmäßig? KAUM!
Zugegeben, natürlich ändert der aus zukünftigen Auszahlungen berechnete Wert sich geringfügig, wenn die Zeit voranschreitet und die Abzinsung der Zukunftsgewinne sinkt, oder wenn aktuell eine vorher im Wert enthaltene Dividende ausgezahlt wird. Krisen und Änderungen im Geldangebot und bei Anlagealternativen können zudem dafür sorgen, dass der individuelle Wert einer Aktie im Vergleich zu anderen Anlagen oder Dingen sich ändert, aber der finanzielle Wert der Aktie ändert sich, falls man die Zukunft kennt, eigentlich fast gar nicht. Wir kennen aber leider die Zukunft nicht. Die Konsequenzen an der Börse aber kennen wir: Der am Markt bezahlte Preis ändert sich ständig und in enormen Tempo, da hier im wesentlichen die Erwartungen des Durchschnitts und die ständig neue Informationslage entscheidend sind. Die Börsenkurse orientieren sich eben an den ständig schwankenden Erwartungen an die Zukunft.
Das ist natürlich erst einmal eine schlechte Nachricht, denn wie kann man nun vernünftig investieren?
FALSCH! Wenn wir uns bewusst machen, dass es jedem anderen genauso ergeht, dann ist das eine extrem gute Nachricht! Wir müssen gar nicht versuchen die Zukunft vorherzusagen, im Gegenteil können wir unser Wissen um das Nicht-Wissen nutzen, um Fehler zu vermeiden.
Denn dass Aktien einen Wert besitzen ist klar. Der Ansatz des Value-Investing hat nun folgende Idee: Wenn wir überhaupt auf den Wert schauen und ihn zu schätzen versuchen, haben wir bereits einen ersten riesigen Vorteil gegen die Glücksspieler und Chartanalysten, die von Aktien allein der Preis interessiert und die darum verlieren, sobald an der Börse wieder der innere Wert in den Vordergrund tritt, oder sobald ihre Modelle und Tradingsysteme sich doch als falsch erweisen. Ich bin überzeugt, dass das (außer bei Broker- und Arbitragegeschäften) früher oder später jedem passiert, der nur den Preis statt den Wert einer Aktie betrachtet.
Einen zweiten riesigen Vorteil erlangen wir, wenn wir bei jeder Aktie einen deutlichen Sicherheitsabschlag vom geschätzten Wert abziehen (oft hört man konkrete Zahlen, z.B. 30 oder 40%, aber im wesentlichen ist das von dem Maß der eigenen Unsicherheit abhängig), und nur investieren wenn der Preis immer noch darunter liegt. Man kann sich dann auch mal massiv verschätzen, aber ist trotzdem gezwungen immer nur die tatsächlich günstigen Anlagen zu erwerben. Wie genau man den Wert nun gut einschätzen kann, auch wie z.B. Warren Buffet die sehr vorsichtige Methode seines Lehrers Graham weiterentwickelt hat, lässt genug Themen für 20 weitere Beiträge 🙂 Aber:
Die absolut einfache und jedem *** verständliche Regel ist: Kaufe nur Aktien, wenn deren Wert wesentlich höher ist als ihr Preis.
Auf lange Sicht orientiert sich der Preis einer Aktie nämlich zumindest grob an ihrem Wert und nicht anders herum, so dass wir die Annäherung an den wahren Wert der Aktie als zusätzlichen Gewinn verbuchen können. Sollten wir aber falsch geschätzt haben, dann liegt die Fehlertoleranz bei unserer Sicherheitsmarge, bevor wir Verluste aus der falschen Schätzung erleiden müssten. Wer sich mit langweiligen Bilanzen und innerem Wert nicht beschäftigen will: bittesehr, auch beim Lotto oder Roulette kann man gute Gewinne machen – aber auf Dauer werden die meisten Glücksspieler eher arm (und man kann immer zu den klügeren wechseln -> jetzt z.B.) Der Rest ist herzlich willkommen sich ein Lesezeichen zu setzen, meine Gedanken zu lesen, ihnen zu widersprechen oder sie zu ergänzen.