Zunächst eine oft gehörte Phrase die sich keine Jahresrückblick sparen kann:
2020 war wirklich ein außergewöhnliches und unerwartet verlaufenes Jahr.
Wenn man mir nur einen Nachrichtenüberblick geben würde und keine Börsendaten, hätte ich erwartet dass die Wertentwicklung von Aktien in diesem Jahr unterirdisch gewesen sein muss. Corona-Krise (mit kompletten Lockdowns), Wahlunsicherheit in den USA, Strukturwandel in vielen traditionellen Branchen (automobile Antriebstechnik, Digitalisierung, Einzelhandel), Angriffe auf die Monopole der Tech-Riesen, bis kurz vor Schluss ungeklärter Brexit…
Aber interessanterweise strömen neue Anleger in Scharen an die Börsen, selbst der Old-Economy-DAX steht höher als am Jahresanfang, bei Tech-Growth-Unternehmen bildet sich eine Blase und Börsengänge poppen so sehr dass Leute auf einmal die seltsame Konstruktion der SPACs (hier eine gute Erklärung) bejubeln… Und ich selbst stehe am Ende mit einem deutlichen Gewinn da (Preis-und-Wert Wikifolio +31%, privat ähnlich), den ich so mit Sicherheit nicht erwartet hatte.
Im Coronacrash im März habe ich mal wieder gelernt, dass Markttiming für mich gar nicht funktioniert, und ich darin definitiv nicht gut bin. Ich habe Sixt verkauft und Wizz Air reduziert, im Nachhinein war das aber die falsche Entscheidung – langfristig bin ich eigentlich weiter überzeugt von beiden Unternehmen, aber die Kurse sind mir zu schnell wieder gestiegen, so dass ich nun das Gefühl habe den Einstiegszeitpunkt verpasst zu haben. Im wikifolio habe ich mir eine Investitionsquote von mindestens 90% auferlegt, um gar nicht erst in die Versuchung von Markttiming zu kommen, und hatte direkt umgeschichtet. Privat habe ich im April/Mai mit etwas mehr Cash auf einen noch tieferen Sturz gewartet, der natürlich nicht kam. Allerdings habe ich sonst Aufgrund meiner ansonsten hohen Überzeugung von meinen Aktien nichts verkauft, und bin im Frühsommer wieder aktiver geworden (z.B. habe ich bei Protector noch weiter aufgestockt).
Persönlich haben wir im Sommer Familienzuwachs bekommen und ich habe auch Elternzeit genommen. Da dann auch die Kindergärten wieder offen waren gab mir das unter anderem etwas Zeit für Recherche und Bloggerei, so dass ich für Netfonds und JDC etwas tiefer einsteigen und analysieren konnte. Auch sonst konnte ich die Zeit genießen, und der Lockdown ist für uns zumindest die meiste Zeit erträglich gewesen. Eine positive Seite war, dass ich viel mehr Hauptversammlungen “besuchen” konnte, denn die waren meist online und damit nicht mit Reisen verbunden. Ansonsten allerdings bin ich letzter Zeit doch weniger zum bloggen gekommen als ich es mir wünschen würde, habe mehrere Artikel angefangen und nicht beendet. Das wird vermutlich auch im nächsten Jahr so bleiben, denn eine tiefere Analyse zu machen und aufzuschreiben kostete mich sonst eigentlich ein Wochenende ungefähr – was angesichts meines Privatlebens eben auch zu großen Teilen der Familie gehört.
Meine Liste von investierten oder sehr nah verfolgten Werten ist inzwischen auf etwa 20 Unternehmen gewachsen, ein Wert den ich eigentlich gern drücken will. Auf der anderen Seite bekomme ich durch andere Investoren (sei es durch verfolgen von Wikifolios, Blogs, Foren oder z.B. ValueDACH) auch ständig neue Ideen, die ich zum Teil noch nicht einmal auf die Watchliste lege mangels Zeit. Sollte ich mir den Vorsatz schaffen, die Liste zu reduzieren? Ich habe entschieden es nicht unbedingt zu tun, allerdings will ich rigoroser aussortieren wenn die Entwicklung eines Unternehmens hinter meinen Erwartungen zurückbleibt. Aber gerade einige kleinere Positionen waren bei mir immer wieder auch erfolgreich, z.B. habe ich dieses Jahr “Trades” gemacht wie Lang&Schwarz oder DocCheck, die ich nach sehr schnellem Kursgewinn wieder abgegeben habe.
Portfolio
Mein privates Depot hat weiter sehr große Überschneidungen mit meinem Wikifolio, allerdings vor allem wegen der eingeschränkten Möglichkeiten des Handels über Lang&Schwarz auch eine beachtliche Divergenz. Außerdem habe ich wie gesagt nicht geschafft für alle Aktien auch eine Analyse für den Blog fertig zu stellen, daher hier eine Liste meiner aktuellen Positionen:
große Position (mehr als 5% des Vermögens)
- Protector Forsikring
- Mutares
- Admiral Group
- Haier (D-Aktien)
- Tick TS
- ABO Wind
Zusammen machen diese 6 über 70% meines Portfolio-Vermögens aus, damit bin ich durchaus recht konzentriert unterwegs. Die Aktien haben sich allesamt sehr gut entwickelt und sind teilweise auch nur dadurch so große Positionen geworden (z.B. ABO Wind), aber ich sehe bei allen weiterhin gutes Potential.
mittlere Positionen (1%-5%)
- Netfonds
- Helma Eigenheimbau
- JD.com
- Einhell
- Hornbach Holding
- Mix Telematics
- Burford Capital
- Ework
- Funkwerk
- Adesso
- Naked Wines
Die mittleren Positionen sind teils wegen einer weniger guten Entwicklung der Kurse aus der Gruppe der großen Positionen zurückgefallen (Mix Telematics etwa), zum Teil aber auch interessante Unternehmen, die ich entweder nicht gut genug oder nicht günstig genug finde, um hier langfristig mit sehr hohem Einsatz dabei zu sein. Von einigen habe ich bereits Artikel angefangen und muss nur noch Zeit finden sie zu beenden.
kleine Positionen (<1%)
- Wizz Air
- KSB (Vorzüge)
- Rakuten
- Sixt (Vorzüge)
- Beta Systems
- Blue Prism
- Short Grenke Put (38€, März 21 – habe ich nach der Shortseller-Attacke geschrieben bei Kurs 41€ und dafür 11€ bekommen…)
Bei Depotpositionen von unter einem Prozent muss man sich natürlich fragen, ob das überhaupt sinnvoll ist. Immerhin verbraucht es Zeit, sich auch mit solchen Unternehmen zu befassen, aber die Wahrscheinlichkeit dass es an der Gesamtrendite etwas ändert ist verschwindend gering.
Zum Teil kann man diese als eine sehr ernsthafte Beobachtungsliste sehen, bei Aktine wie Wizz und Sixt hatte ich etwa reduziert um die Corona-Risiken im Tourismussektor aus dem Depot zu verbannen, aber habe das mittelfristige Ziel wieder einzusteigen, wenn das Risiko besser einzuschätzen ist. Auch jetzt besteht immerhin eine realistische Gefahr, dass die Sommerreisesaison durch Corona wesentlich beeinträchtigt wird, vom für Sixt wichtigen Geschäftsreiseverkehrganz zu schweigen.
Teilweise ist es auch so, dass ich mich mit Blue Prism (High-Growth) oder KSB (das würde ich unter Turnaround / Antizyklik einordnen) in Kategorien begeben habe, in denen ich wenig Erfahrung habe und daher nur mit begrenztem Einsatz dabei bin.
Trades
Eigentlich will ich ja langfristig investieren. Allerdings bieten sich manchmal Chancen, wo Unternehmen nach guten Nachrichten auf einmal günstig aussehen oder ich später recherchieren will, aber schon mal einsteige. Wenn der Kurs dann schnell ansteigt, dann halte ich die meist eher kleine Position nicht zu lange sondern nehme mitunter einfach Gewinne mit. Oder falls mich die Recherche doch nicht begeistert. Hier habe ich dieses Jahr zum Beispiel mit DocCheck Glück gehabt, noch mehr mit Lang und Schwarz. Und nach der Shortattacke auf Grenke habe ich nach Lesen des aus meiner Sicht nicht besonders gut gemachten Short-Reports zum ersten mal Anleihen gekauft (zu 62% vom Nennwert, verkauft dann im Dezember zu 96%), außerdem Aktien – die ich dann aber verkauft habe um einen Put zu schreiben und von der enormen Optionsprämie zu profitieren. Gerade so runtergeprügelte Anleihen haben durchaus ihren Charme, eventuell ergeben sich da ja mal wieder Gelegenheiten. Auf jeden Fall eine spannende Erfahrung.
Einen Fehler habe ich aber auch gemacht: im Crash habe ich versucht mein Portfolio mit einem recht teuren S&P-Put gegen den Crash abzusichern. Der ist wertlos verfallen, und da ich kein Markttiming kann hätte ich es einfach sein lassen sollen…
Ausblick
Was wird 2021 bringen? Ich weiß es nicht, und gerade was die wirtschaftliche Entwicklung angeht herrscht meiner Meinung nach immer noch keine Klarheit. Eine Öffnung des öffentlichen Lebens wird vermutlich viel Geld zurück in den Wirtschaftskreislauf bringen, was bis dahin “brach lag” und nicht ausgegeben werden konnte (die Sparquote ist wohl über 16% gestiegen!). Die Bundestagswahl könnte bei sensiblen Branchen für Verunsicherung sorgen, falls sich wie es Aussieht ein stärkerer Klimaschutz zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen entwickelt, denn die Union sieht sich jetzt schon unter Druck ihren Kurs anzupassen. Ein Auslaufen der Corona-Hilfsprogramme könnte aber durchaus auch zu Problemen führen, mehr Insolvenzen und Arbeitslose bedeuten. Und wer weiß ob es nicht alles noch ganz anders kommt.
Daher versuche ich weiterhin starke und nicht zu teure Unternehmen zu finden. Mein Fokus verschiebt sich tendenziell in Richtung Qualität, aber ich versuche weiterhin auch einfach günstige Aktien zu finden. Den Markt in irgendeiner weisen zu timen funktioniert für mich nicht (wie ich 2020 wieder gesehen habe) und ich möchte darin keine Zeit verschwenden.
Eine Neuigkeit habe ich noch: Ich habe bereits vor 5 Jahren einen Twitter-Account angelegt, aber diesen nur genutzt um meine Posts automatisiert zu teilen – so konnten interessierte Twitter-Nutzer dem Blog folgen, ohne den RSS-Feed zu abonnieren oder die Website zu checken. Bisher allerdings habe ich ihn sonst eigentlich kaum genutzt. Das wird jetzt anders – ich habe mich von Facebook als Netzwerk komplett verabschiedet und Twitter für mich persönlich entdeckt, daher habe ich mir vorgenommen meinen Blog-Account auch wieder aktiver zu nutzen.
Also wenn ihr Twitter-Nutzer seid, dann folgt mir gern hier: https://twitter.com/Preis_und_Wert .
Dort werde ich wohl auch kleinere Kommentare und Einschätzungen teilen, die für den Blog nicht wichtig und groß genug sind.
Zuletzt noch allen ein frohes, erfolgreiches, und vor allem natürlich gesundes neues Jahr 2021!
Ein Gedanke zu „Rückblick 2020“