Eine bekannte und immer wieder zu hörende Weisheit für das Value-Investing, von einigen sogar als Definition des selbigen angesehen: Zahle an der Börse immer deutlich weniger als den inneren Wert, oft so ausgedrückt:
Kaufe einen Euro, zahle nur 50 cent
Angespornt von den Erfolgen Warren Buffets wird daraus oft einfach die (zweifellos richtige) Suche nach guten und ertragreichen Geschäftsmodellen, hohen Kapitalrenditen und nachhaltig stark wachsenden Firmen. Der alte Meister Graham schreibt im “The Intelligent Investor” aber insbesondere auch über die Werte in der Bilanz. Unter anderem schlägt er folgende Kategorien von Aktien als geeignete Anlageobjekte vor:
- “The Relatively Unpopular Large Company”, also aktuell gerade eher wenig beachtete oder gar gemiedene Unternehmen, die zu den größten und bekanntesten gehören, trotzdem wegen temporärer Schwierigkeiten gerade vom überwiegenden Teil der Marktteilnehmer als unattraktiv gesehen werden.
- “Purchase of Bargain Issues” , d.h. der Kauf von Schnäppchen – insbesondere Unternehmen die unter ihrem “Net Working Capital”, also Nettoumlaufvermögen gehandelt werden, obwohl sie wenigstens eine schwarze 0 schreiben.
Natürlich muss man sich auch diese Unternehmen stets genauestens ansehen, um nicht später böse überrascht zu werden – aber die Gefahr merklicher Rücksetzer ist um so kleiner, je niedriger die Erwartungen ohnehin sind. Solche Unternehmen sind also gut für den Investor, und entsprechend nachdrücklich muss man nach ihnen Ausschau halten – und vielleicht habe ich ja etwas entdeckt…
Hier ein kleines Rätsel, die Frage ist mit welchem Unternehmen ich mich heute beschäftigen will:
Welches Unternehmen hat eine so lange Tradition, dass es alte Geschäftsberichte von vor der Kaiserzeit im Archiv liegen hat, und ein Geschäftsmodell das auch die nächsten Jahrhunderte ziemlich sicher funktionieren sollte? Welches gehört gleichzeitig zur Gruppe der weltgrößten, bekanntesten und wichtigsten Akteure in seinem Kerngeschäft? Welches ist ein von Anfang an globales Unternehmen, das auch heute zu den Aushängeschildern der deutschen Wirtschaft zählt? Und notiert an der Börse trotzdem, selbst nach Abzug der immateriellen Vermögenswerte, bei nur etwa 3/4 des Eigenkapitals?
Richtig: das ist die deutsche Bank schlechthin, unsere einzige internationale Großbank, die Deutsche Bank AG.
Bedeutung des Buchwerts
Zunächst einmal ist zu klären, warum der Buchwert eine so relevante Größe ist, und wieso er manchmal eben trotzdem nicht zur Einschätzung genügt.
Im Prinzip ist das Eigenkapital bzw. der Buchwert wichtig, weil es das vorhandene Vermögen angibt, das den Besitzern (=Aktionären) gehört. Wenn die Aktiva tatsächlich zu dem in den Büchern stehenden Werten verkauft werden können und die Schulden zurückgezahlt, dann sollte etwa das Eigenkapital übrig bleiben. Solange die Banken gute Werte in den Büchern haben, sollte man also davon ausgehen dass sie im wesentlichen ihr Eigenkapital zuzüglich zukünftiger Gewinne wert sind.
Zudem ist die Besonderheit bei Banken, dass sie aufgrund der Gesetze und Vorschriften zu einer Mindestkapitalunterlegung ihrer Investitionen gezwungen sind. Konkret heißt das: Für jeden Kredit, den die Bank einer Firma gibt, muss sie z.B. 10% der Kreditsumme als Eigenkapital vorrätig haben. Dadurch wird die Stabilität erhöht und das Risiko gesenkt, denn so könnte einer von 10 Krediten ausfallen, ohne dass das Eigenkapital komplett verbraucht würde. Die Höhe des Eigenkapitals beschränkt also ganz klar das Kreditvolumen, und damit die Menge der Einnahmen einer Bank. Bestimmte Anlagen hat der Staat allerdings per Gesetz als sicher erklärt, so dass Banken dort kein Kapital hinterlegen müssen, etwa Staatsanleihen (ein Schelm wer Böses dabei denkt…)
Dadurch ist auch klar, warum die Abstufung von Griechenland so ein Problem war: die griechischen Banken hätten niemals das nötige Kapital auftreiben können um diese Anleihen zu halten, wenn die EZB nicht Ausnahmen erlaubt hätte.
Zusammengefasst: Je mehr Eigenkapital, desto mehr Risikobehaftete (und damit lukrativere) Kredite kann eine Bank ausgeben, und desto mehr Gewinn kann sie daher erzielen.
Bei Banken ist allgemein das Problem, dass die Vermögenswerte in der Bilanz oft schwer einzuschätzen sind, andererseits die Eigenkapitalquote extrem niedrig (oft nur 3-5%) ist. Was passiert, wenn sich nun Vermögenswerte, also im wesentlichen Kredite, als nicht werthaltig erweisen? Sie müssen abgeschrieben werden, und die Bank macht einen entsprechenden Verlust. Natürlich geschieht das ständig, aber in einem geringen Maß. Wenn aber auf einmal sehr viele oder sehr große Kredite ausfallen gibt es Probleme. Letztendlich kann die Bank so viel Eigenkapital einbüßen, dass sie das Geschäft aufgeben muss oder durch Kapitalerhöhungen die bisherigen Eigentümer fast herausgedrängt werden (siehe Commerzbank seit der Finanzkrise). In so einem Fall ist eine Bank natürlich nicht mehr ihr Eigenkapital wert, sondern im Extremfall gar nichts. Es besteht bei Banken also ein gewisses Risiko von recht plötzlich und für Außenstehende schlecht vorhersehbar auftretenden Insolvenzen.
Betrachtet man sich nun europäische Banken und ihre Bewertungen in den letzetn 5 Jahren, beobachtet man dass sie fast alle deutlich unter ihren Buchwerten zu haben sind. Wie kommt diese Bewertung zustande???
Probleme der Banken allgemein
Prinzipiell haben fast alle Banken der westlichen Welt seit der Finanzkrise Probleme. Eine interessante Zusammenstellung zur Lage findet man in diesem Bericht (pdf). Durch die Krise sind erstens gerade in Südeuropa vermehrt Kredite ausgefallen, von den US-Hypotheken ganz zu schweigen. Was jedoch wahrscheinlich schwerer wiegt ist die indirekte Reaktion auf die Krise: Die Zentralbanken halten die langfristigen Zinsen möglichst niedrig. Das Kreditgeschäft beruht aber wesentlich auf der Fristentransformation, d.h. der Umwandlung kurzfristiger Einlagen wie Sparbücher in langfristige Kredite für die Realwirtschaft. Wenn aber eine Baufinanzierung bei der Deutschen Bank aktuell bei 15 Jahren Zinsbindung ab 2,14% Zinsen kostet, mit geringerer Zinsbindung sogar nur 1,29% ist klar, dass die Margen der Banken schrumpfen.
Die zweite indirekte Reaktion auf die Krise wiegt vielleicht sogar am schwersten: Um neue Krisen zu verhindern, werden inzwischen nach jahrelangem Lockern der Regulierung die Regeln wieder verschärft – und das bedeutet, dass die Banken mehr Kapital für weniger Geschäft brauchen. Gerade im Hauptgeschäft der Deutschen Bank, dem Investmentbanking, war in jüngster Zeit wenig zu holen.
Und schließlich steht in Europa der neue, wohl härtere Stresstest an. Die EZB überprüft alle wichtigen Banken, und wird die durchgefallenen zur Aufnahme von Kapital zwingen. Für die Commerzbank dürfte das noch eine deutliche Hürde werden, die Deutsche Bank sollte aber nach der 8-Milliarden € Kapitalerhöhung dieses Sommers ausreichend vorgesorgt haben.
Aber auch die Aufseher in den USA machen Probleme: Sie verschärfen ebenfalls die Anforderungen, gerade für ausländische Institute – diese müssen jetzt eigenständiges Kapital in den USA vorweisen, statt wie bisher das Kapital der Mutter anrechnen zu lassen. Für die deutsche Bank ist es sicher keine Option, das Geschäft in den USA aufzugeben – insofern kann es hier massive Belastungen geben, die im Moment nicht vollständig absehbar sind.
Als letzter Punkt kommt gerade bei der deutschen Bank das Risiko der laufenden Gerichtsprozesse zum tragen: In 2013 mussten hierfür Milliarden zurückgestellt werden, und die nächsten Probleme stehen schon wieder an.
Warum ich trotzdem von der Deutschen Bank überzeugt bin
Ich gebe ehrlich zu: ich verstehe von Bankbilanzen nicht viel, und kann eigentlich kaum eine realistische Einschätzung des wahren Wertes vornehmen. Normalerweise würde ich an dieser Stelle eine genauere Analyse schreiben, die Bilanz anschauen, die Entwicklung der Gewinne (bei der deutschen Bank sehr sprunghaft!) und weitere Faktoren betrachten.
Unter normalen Umständen ist es allerdings auch so, dass die wenigsten profitablen Unternehmen deutlich unter ihrem Buchwert kosten. Denn wenn keine Verluste entstehen und wenn keine Kapitalerhöhungen durchgeführt werden müssen, kauft man dann das Kapital für weniger, als es eigentlich Wert ist. Zum Preis von 27€ je Aktie bekomme ich aktuell ein Eigenkapital von 46 € je Aktie. Darin enthalten ist natürlich noch ein Anteil immaterieller Vermögenswerte (bei der Deutschen Bank momentan 14 Milliarden €). Dennoch birgt die einfache Annahme, dass das Unternehmen sein Eigenkapital wert ist einen Gewinn von einem drittel der investierten Summe. Vor der Krise, also 2007, waren die Buchwerte deutlich unter dem Marktwert, auch bei der Deutschen Bank wie man hier sieht.
Der Bankensektor insgesamt wird mit Sicherheit auch diese Krise überleben, und die Überlebenden werden sogar gestärkt daraus hervorgehen. Da die Risiken inzwischen jedem sehr deutlich vor Augen stehen, sind sie auch überall bereits eingepreist. Es werden möglicherweise noch weitere Banken Kapital aufnehmen müssen oder sogar abgewickelt werden, aber jede die das nicht wird, wird mit Sicherheit wieder in die Nähe eines KBV von 1 oder höher steigen.
Die entscheidende Frage ist daher im Moment weniger, ob der Gewinn bald wieder auf 3-4 Mrd € im Jahr steigen kann, sondern ob die beiden angesprochenen wenn eintreten können oder nicht. Zu Verlusten: bei Banken können ja schon durch Ausfälle von Krediten und Abschreibung fauler Wertpapiere sehr sehr hohe Verluste entstehen. Diese würden das Eigenkapital natürlich erheblich schädigen. Allerdings sehe ich im Moment bei der Deutschen Bank nicht die Gefahr, dass dies passiert. Die Kosten müssen sicherlich weiter gesenkt werden, um kontinuierliche Gewinne zu gewährleisten, aber ich sehe die Bank dabei auf einem guten Weg.
Das größere Problem ist die Angst vor weiteren Kapitalerhöhungen im Zuge der verschärften Regulierung. Auch das halte ich allerdings für eher unwahrscheinlich, da die letzte Kapitalerhöhung bereits 8,5 Milliarden in die Kasse gespült hat. Für den Moment scheint die Kapitalisierung gut zu sein, der Stresstest wird möglicherweise neue Erkenntnisse bringen.
Im Investmentbanking steigt dazu im Moment die Regulierung, allerdings ziehen sich manche Konkurrenten daher auch ein Stück weit aus diesem Geschäft zurück. Nach der Konsolidierung wird es mit Sicherheit auch wieder ordentliche Gewinne zu verteilen geben, und die Deutsche Bank dürfte ihre Portion vom Kuchen abbekommen.
Warum nicht eine andere Bank?
Eine Frage, die sich bei meiner Argumentation natürlich stellt: warum nicht die Commerzbank, oder irgendeine andere notleidende europäische Bank die unter ihrem Buchwert bewertet wird? Die Bilanz kann ich ja auch bei der Deutschen Bank kaum auseinandernehmen und ganz sicher nicht verstehen. Allerdings hat die Commerzbank schon deutlich länger mit Problemen in ihrem Geschäft zu kämpfen, und sie sitzt wohl auf deutlich mehr gefährdeten bzw. als riskant eingestuften Aktiva. Durch deren Risikogewichtung (die ja gerade von der EZB durchleuchtet wird) wäre es möglich, dass tatsächlich noch eine Kapitalmaßnahme nötig wird. Zumindest sehen hier etliche Analysten erhebliches Risiko eines Durchfallens im Stresstest. Sollte das nicht der Fall sein, so bietet sie mit der selben Begründung ebenfalls einiges Potential.
Allerdings kann man ja ebenfalls über die Grenzen schauen – auch in anderen Ländern sind Banken nicht gerade teuer bewertet. Mitunter schaffen es ja sogar französische Banken, ihre Geschäftsberichte auch auf Englisch zu veröffentlichen. Ich mag es zwar nicht, wenn ich ein Unternehmen so wenig einschätzen kann – über die deutschen Banken liest man immerhin ständig in den deutschen Medien – aber tatsächlich spricht nichts dagegen, bei ähnlichen Bewertungen das Risiko etwas zu streuen. Insofern ist mein Blick bei der Suche auf die Société Générale aus Frankreich gefallen – ebenfalls eine Universalbank, international aufgestellt, die Kapitalausstattung scheint ordentlich zu sein und die Erträge waren in der Vergangenheit sogar wesentlich konstanter als bei den Konkurrenten der Deutschen Bank. Die Bewertung ist aber ebenfalls sehr günstig, vielleicht sogar günstiger: für die Marktkapitalisierung von knapp 34 Mrd. € gibt es Eigenkapital von etwa 50 Mrd €. Hier kaufe ich also tatsächlich 1€ zum Preis von 60 cent 🙂
Fazit
Ich bin mir der Risiken durchaus bewusst. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass die großen europäischen Banken nicht wieder zu Bewertungen über dem Buchwert zurückkehren sollten. Dass der Buchwert pro Aktie wesentlich fällt – durch Abschreibungen und durch Kapitalerhöhungen – dürfte bei einigen Banken vorkommen, allerdings wird auch das nicht die Regel sein. Ich lege mich auf jeden Fall auf die Lauer und hoffe, dass meine Rechnung aufgeht. Wenn ja, dann sollten die Bankaktien nach erfolgreichem Stresstest wieder steigen und ich hätte mit den 27€ pro Aktie ein Schnäppchen gemacht.
Ich bin zuversichtlich, auch wenn die Marktstimmung zu den Banken das weniger ist!
Ein Gedanke zu „Europäische Banken weit unter Buchwert – ein Schnäppchen?“