Der Corona-Crash : psychologische Selbstbeobachtung

Es ist interessant zu sehen, wie sich die Stimmung an den Börsen oftmals recht langsam verschiebt. Ich habe vor kurzem die Aussage gelesen “Preise von Aktien hängen nicht so sehr an DCF-Modellen und fundamentalen Bewertungen, sondern oft genug an den Preisen der letzten Tage“.

Dies ist sicher ein bedeutender Teil der Erklärung, und er erklärt auch warum ich typischerweise viel zu früh den Drang habe nachzukaufen und am Tief den Drang zu verkaufen. Dazu kommt aber, dass man als Mensch seine Einschätzung nur langsam und graduell anpasst. Erst nachdem der Nachkauf 30% unter Wasser ist denkt man nach, ob er überhaupt so klug war…

Im Absturz Ende 2018/Anfang 2019 habe ich das sehr gut beobachtet und bemerkt, dass meine Gefühle da durchaus als Kontraindikator taugen können. Wie haben die sich diesmal entwickelt?

Startphase (Covid in Wuhan, Dax auf 12.000)
  • Ach das wird nicht so schlimm
  • SARS war auch schnell wieder im Griff
  • die Notenbanken werden ein bisschen mehr Geld drucken
  • die übertriebenen Kursgewinne angesichts der noch nicht ausgestandenen Industrierezession sind halt weg
  • Aktien sind ja günstiger geworden, vielleicht sollte man nachkaufen?

Tatsächlich hat mich der Absturz im Dax auf 12000 überhaupt nicht gejuckt, mein einziger chinesischer Wert JD.com hat sich gut gehalten und als Krisengewinner herausgestellt und ich war komplett gelassen. Impuls: Buy the dip.

Phase 2 (Anfang März, Covid in Europa, Absagen von Großveranstaltungen und Geschäftsreisen)

  • Auf Arbeit bemerke ich wie Geschäftsreisen abgesagt werden
  • Der Coronaticker wird zur täglichen Lektüre
  • Diskussionen ob man noch Osterurlaub machen kann
  • Crashartige Verkäufe an der Börse (teils ohne Branchendifferenzierung)
  • Gefühl, dass einige Branchen durchaus getroffen werden könnten, ich verkaufe Sixt (und lasse Wizz Air noch im Portfolio, da ich denke dass sich der Verkehr schnell wieder erholen könnte) und reinvestiere direkt

Meine Annahme zu dem Zeitpunkt: die Wirtschaft soll nicht runtergefahren werden – vll fällt Fußball aus und ein paar Messen, aber es wird schon weiter gehen und man nimmt in Kauf dass einige Menschen sterben.

Phase 3 (Mitte März, täglich schärfere Maßnahmen in Europa, DAX ~10.000)

  • Shit, das wird die Wirtschaft richtig treffen, hoffentlich ist es schnell vorbei!
  • Was wenn die Kindergärten schließen? Wie sollen wir da arbeiten?
  • Die US-Börsen scheinen viel weniger zu reagieren, Medien es noch zu verharmlosen – teure US-Aktien shorten?
  • Aktienmärkte reagieren fast gar nicht mehr auf Zinssenkungen und andere Maßnahmen der Notenbanken, wenig auf Konjunkturhilfen der Politik.
  • Homeoffice wird in Deutschland zum Standard bei Bürojobs, auch für mich.
  • “Gut dass ich doch keine Autoaktien gekauft habe – das wird böse. Aber meine Aktien sollten einigermaßen wenig betroffen sein”…

Tatsächlich bekam ich in dieser Woche das Gefühl, dass der Crash erst begonnen hat und wohl eine tiefere Rezession auslösen wird – natürlich erst in dem Moment, wo ich die Maßnahmen am eigenen Leib gespürt habe. Ausgehend von der Beobachtung dass in den USA die Maßnahmen und offiziell verkündeten Fallzahlen noch ein Stück zurück waren, habe ich mir dann zur Absicherung einen SP500-Put am Geld bei 2730 gekauft. Zu Beginn der Woche schrieb ich noch jemandem auf WhatsApp “eigentlich müsste man jetzt Vapiano Puts kaufen, die sind so gut wie tot” – gestern dann die Meldung der Insolvenz.

Ich halte für wahrscheinlich, dass die USA schärfere Maßnahmen verordnen, wodurch eine große Zahl an Unternehmen und Menschen ihr Einkommen verlieren – allein im Einzelhandel und Gastgewerbe arbeiten in den USA fast 20 Mio Menschen! Da die Wirtschaft dort stark auf Konsum ausgerichtet ist wird das massiv durchschlagen. Und das wiederum wird auch die deutsche Industrie zusätzlich zu unseren eigenen Problemen treffen.

Was tun?

Wie ich im letzten Artikel geschrieben habe: Ich bleibe voll investiert, da ich kein Markttiming beherrsche und ich den richtigen Einstiegszeitpunkt nicht finden würde, dafür aber wahrscheinlich mir eine Menge Stress machen würde. Bei einigen Aktien habe ich mehr Sorgen, bei anderen weniger. Angesichts der fallenden Preise im breiten Markt sollte ich genauere Recherche betreiben, welche Unternehmen auch in den kommenden Jahren profitabel wachsen werden und daher nun übertrieben abgestraft wurden. Ich stelle mich aber darauf ein, dass es noch ein ganzes Stück abwärts gehen könnte – oder aber durch ein umfassendes Rettungspaket der Regierungen eine neue Rally beginnt. Ich halte aber so oder so eine längere Rezession und zugleich massive Staatsdefizite für wahrscheinlich, insbesondere wenn die Situation sich nicht in den kommenden Wochen entspannt oder ein Medikament gefunden wird.

Den Drang, Aktien wegen Rezessionsgefahr zu verkaufen spüre ich weit weniger stark als Anfang 2019. Wenn ich ein guter Kontraindikator sein sollte, dann haben wir das Tief also noch lange nicht erreicht. Hmmm…

3 Gedanken zu „Der Corona-Crash : psychologische Selbstbeobachtung

  1. Sehr schöne ‘Selbstbeobachtung’ ; denke so oder so ähnlich werden es fast alle (Aktien-) Investoren erlebt haben. Ich jedenfalls!

    Soetwas aufzuschreiben, hilft auf jedenfall, und rückt Gedanken ins rechte Bild.
    Außerdem hilft es, seine eigene Meinung nicht bei jeder neuen Nachricht / jede Minute ändern (zu wollen).

    Auf Gute Investments

  2. Ich habe die Entwicklungen im Verlauf auch ähnlich erlebt. Der einzige größere Unterschied ist, dass ich nicht permanent voll investiert bin und jetzt von Phase zu Phase immer mehr den Drang habe Werte zu kaufen, die ich teilweise schon lange verfolge. Was am Ende gute Einstiegskurse sind, werden wir sehen. Aber ich kann nicht anders als zu kaufen, also tue ich es…

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